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Antisemitismus kein Thema für Amtsgericht?

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Am 4. Dezember wurde ein 25-jähriger Briefträger wegen Beleidigung und gefährlicher Körperverletzung vom Amtsgericht Mettmann zu 10 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und Schmerzensgeld in Höhe von 450 € verurteilt. Als weitere Auflage wurde verfügt, dass sich der Täter außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit dem Geschädigten nicht mehr nähern darf. Die Tat hatte sich am 21.2.2012 ereignet: Der Geschädigte, der jüdische Vorfahren hat, war vom Täter massiv als Jude beleidigt und mit einer Bierflasche verletzt worden.

Der für das Opfer offensichtliche antisemitische Hintergrund der Tat wurde während der Verhandlung nur am Rande thematisiert. In seiner mündlichen Urteilsbegründung ließ der Richter diesen Tathintergrund ausdrücklich unberücksichtigt: Entscheidend seien die ehrverletzenden Beleidigungen, die sich niemand, unabhängig von jedweder Religion, gefallen lassen müsse. Das Gericht folgte auch nicht der Forderung nach einer Geldstrafe, die aus Sicht des Geschädigten an eine jüdische Einrichtung gezahlt werden sollte. Damit wurde leider die Chance vertan, dem bis zum Schluss uneinsichtigen Täter unmissverständlich zu verdeutlichen, dass die Gesellschaft nicht bereit ist, antisemitisch motivierte Gewalt zu tolerieren.

Für den Geschädigten war die Nichtberücksichtigung des antisemitischen Hintergrundes ebenso enttäuschend wie die fehlende Bereitschaft, Hinweisen über mutmaßliche Zusammenhänge zur lokalen Naziszene nachzugehen. „Die Beschimpfung als ‚Judenschwein' oder ‚dreckiger Jude'" - so der Geschädigte - „ist meiner Meinung nach eindeutig neofaschistisch und kommt nicht von allein in den Kopf des doch noch recht jungen Angeklagten". Auf absolutes Unverständnis stieß zudem der ausdrückliche Rat des Richters, dass sich Opfer und Täter möglichst „aus dem Wege gehen" sollten, da dies implizit einer Gleichsetzung von Opfer und Täter gleichkommt.

Die politische Gesinnung - so hatte die Staatsanwältin in ihrem Schlussplädoyer ausgeführt - könne nicht strafverschärfend wirken. Leider zog sie nicht in Betracht, dass bereits die aktuelle Gesetzgebung die menschenverachtende Motivation des Täters berücksichtigt und die „Gesinnung, die aus der Tat spricht" (§ 46 Abs. 2 StGB) im Strafverfahren und bei der Strafzumessung zum Tragen kommen kann.

Solche Defizite im Erkennen und Würdigen der Vorurteilsmotivation in Gerichtsverfahren, wie sie sich im Fall Mettmann zeigen, sind keineswegs neu. Sie haben vielmehr bereits im Januar 2012 zu einer auch vom Justizministerium NRW unterstützten Initiative mehrerer Bundesländer zur Bekämpfung vorurteilsmotivierter Gewalt (sog. Hasskriminalität) geführt: Die diesbezüglichen Gesetzentwürfe sehen die ausdrückliche Aufnahme menschenverachtender Tatmotive als besondere Umstände der Strafzumessung vor. Als Begründung wird im Gesetzentwurf des Bundesrates (Drucksache 26/12) ausgeführt:

„Diesen sogenannten Hassdelikten wohnt (...) ein erhöhter Unrechtsgehalt inne. Ihre Täter begehen sie nicht vor dem Hintergrund einer persönlichen Auseinandersetzung mit dem Opfer. Vielmehr soll mit dem Angriff (...) ein grundsätzliches Unwerturteil über dessen ‚Anderssein' gefällt werden. (...) Mögliche Folgen sind Einschüchterung und Gefühle des Alleingelassenseins bis hin zur gesellschaftlichen Isolation ganzer Bevölkerungsgruppen. Hasskriminalität ist deshalb in besonderem Maße geeignet, den sozialen Frieden zu stören."

Bleibt zu hoffen, dass diese geplante Änderung des Strafgesetzbuches zu einer erhöhten Sensibilität für Opfer vorurteilsmotivierter Gewalt in Strafverfahren führt. (br)