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Stellungnahme zum Projekt „ToreG NRW“: Opferberatungsstellen beklagen ungenutzte Chancen und fehlende Transparenz

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Stellungnahme der Opferberatung Rheinland (OBR) und Betroffenenberatung BackUp

Projekt „ToreG NRW“: Opferberatungsstellen beklagen ungenutzte Chancen und fehlende Transparenz.

 

Düsseldorf / Dortmund, der 04.09.2024

Projekt „ToreG NRW“: Opferberatungsstellen beklagen ungenutzte Chancen und fehlende Transparenz

Die Opferberatung Rheinland (OBR) und die Betroffenenberatung BackUp äußern erhebliche Kritik an der Durchführung des Projekts „ToreG NRW“. Das Projekt, das bereits vor neun Monaten (Dezember 2023) abgeschlossen wurde, untersuchte 30 Verdachtsfälle rechter Tötungsdelikte der letzten 40 Jahre in Nordrhein-Westfalen. Die Überprüfung solcher Fälle ist ein wichtiger und richtiger Schritt zur Aufarbeitung rechter Gewalt. Beide Beratungsstellen in NRW begrüßen daher grundsätzlich und entschieden die Bemühungen, sich mit diesen Fällen auseinander zu setzen und diese neu zu bewerten. Allerdings äußern die spezialisierten Opferberatungsstellen erhebliche Kritik an der Durchführung und insbesondere an der Kommunikation der Projektergebnisse. 

Verpasste Chance zur traumasensiblen Aufarbeitung für Betroffene
Die spezialisierten Opferberatungsstellen OBR und BackUp haben im Verlauf des Projekts wiederholt Kritik an der mangelnden Einbindung geäußert und aktiv ihre Einbindung sowie der Betroffenen selbst eingefordert. „Wir haben mehrfach darauf hingewiesen, wie wichtig eine traumasensible Einbindung der Betroffenen ist und das Vorgehen hinsichtlich der Informationsweitergabe an Angehörige und Überlebende im Vorfeld kritisiert“, betont Fabian Reeker, Leiter der OBR. „Eine aktive Involvierung von unabhängigen wissenschaftlichen Akteuren, spezialisierten Beratungsstellen und Zivilgesellschaft fand bei ToreG NRW nicht statt. Diese Intransparenz zeigt keinen verantwortungsbewussten Umgang mit der alltäglichen und tödlichen Dimension von rechter Gewalt, geschweige denn mit den Überlebenden und Angehörigen."

NRW schwach im Vergleich zu anderen Bundesländern
Ein Blick in andere Bundesländer zeigt, wie es besser gemacht werden kann: In Brandenburg, Berlin und Thüringen wurden unabhängige wissenschaftliche Überprüfungen durchgeführt, die zu zusätzlichen Anerkennungen führten. Dabei waren in den Projektbeiräten Opferberatungsstellen ebenso wie Landeskriminalämter, Innen- und Justizministerien umfassend einbezogen. Diese Herangehensweise sorgt nicht nur für mehr Transparenz und umfassenderen Zugang zu Akten und Opferzeug*innen, sondern stärkt auch das Vertrauen von Hinterbliebenen und Überlebenden in die staatlichen Institutionen. Anders als in anderen Bundesländern, die auf transparente und unabhängige Überprüfungen setzten, hat das Innenministerium in NRW eine interne Untersuchung durch das Landeskriminalamt (LKA) gewählt. Dieser Ansatz sendet ein zwiespältiges Signal an die Hinterbliebenen und Überlebenden rechter Gewalt sowie an die Gesellschaft insgesamt. „In NRW wurde eine wichtige Chance verpasst. Wir sind überzeugt, dass eine umfassendere und unabhängige Untersuchung, wie sie in anderen Bundesländern durchgeführt wurde, mit mehr Zugang zu Akten und der Einbeziehung von Hinterbliebenen, Überlebenden und spezialisierten Beratungsstellen, dazu geführt hätte, dass weitere Fälle als politisch rechtsmotivierte Tötungsdelikte anerkannt worden wären“, erklärt Reeker.

Unklare Methodik und fragwürdige Selbstbewertung
Während das Projektteam die Ergebnisse als „differenziert“ bezeichnet, bleiben viele grundlegende Fragen zu den angewandten Methoden und der Bewertung der Fälle unbeantwortet. Eine objektive Beurteilung der Qualität der Arbeit wäre nur durch unabhängige Expert*innen möglich gewesen. Im veröffentlichten Handout wird der Ansatz des Projekts als „problemzentriert und fokussiert“ beschrieben, ohne jedoch konkrete Erläuterungen zu den angewandten Methoden zu geben. Diese ungenauen Beschreibungen schaffen Intransparenz und erschweren es, die wissenschaftliche Grundlage der Untersuchung nachzuvollziehen. Mehrere Fälle wurden aufgrund fehlender Akten gar nicht erst geprüft, und es wurden keine zusätzlichen Fälle in die Untersuchung einbezogen, obwohl es genug weitere Verdachtsfälle gegeben hätte. Diese mangelnde Anpassungsfähigkeit deutet darauf hin, dass das Projekt eher auf eine begrenzte statt auf eine umfassende Untersuchung ausgelegt war.

Die Verwendung der Kategorie C (weder politisches Element/Motiv eindeutig erkennbar (PMK-rechts) noch politisches Element/Motiv eindeutig abwesend (PMK-rechts)) bleibt undurchsichtig. Es ist unklar, welche Kriterien zur Einordnung in diese Kategorie führten und was diese Einordnung konkret bedeutet. "Dass beispielsweise die ermordete Alexandra Rousi aus Paderborn nicht als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt wird, nur weil der eindeutig rassistisch handelnde Täter beim Brandanschlag ebenfalls ums Leben kam, ist ein Schlag ins Gesicht für die Angehörigen", so Thomas Billstein von der Betroffenenberatung BackUp NRW. 

Verletzung der Standards für politisch motivierte Kriminalität
Das maßgebliche Bewertungsinstrument zur Neubewertung der untersuchten Fälle bildete der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD - PMK) in seiner aktuellen gültigen Fassung, dessen Einführung im Jahr 2001 zu einer grundlegenden Reform der polizeilichen Erfassungskriterien politisch motivierter Straftaten in Deutschland führte. Seither sind die Strafverfolgungsbehörden u. a. erstmals dazu aufgefordert, bei der Würdigung der Umstände der Tat neben anderen Aspekten auch die Sicht der Betroffenen mit einzubeziehen. Die Perspektiven und Erfahrungen der Überlebenden und Angehörigen blieben im Projekt "ToreG NRW" jedoch explizit unberücksichtigt. So stellt das Ministerium des Inneren des Landes NRW unmissverständlich klar: "Die Perspektive der Hinterbliebenen bzw. Überlebenden ist kein Bestandteil des Projektauftrages ToreG NRW." (Kleine Anfrage 2489 vom 6.9.2023, Drucksache 18/5756).

Wie der Projektbericht darlegt, wurde auf der Grundlage unvollständiger Aktenlagen wie auch Beweiswürdigungen eine teilweise nicht nachvollziehbare Bewertung der untersuchten Fälle vorgenommen. Eindeutige und nachweisbare rechte Tatmotivationen wurden ignoriert, wenn bestimmte Erfassungsrichtlinien nicht vorhanden waren. Somit entsteht trotz des prinzipiell richtigen Ansatzes ein verzerrtes und unvollständiges Bild von tödlicher rechter Gewalt in NRW. 

Betroffenenperspektive weiter ungehört
"Als Überlebende und als Hauptzeugin habe ich bis heute über den Verlauf des Anschlags keine Aussagen gemacht. Niemand hat nach meiner Aussage gefragt. Ich habe das Urteil im letzten Jahr zum ersten Mal gelesen, was mich sehr schockiert hat", so Aynur Satır, Überlebende des Brandanschlags Duisburg 1984. “Es war so, als hätte unsere Geschichte als Familie keine Wichtigkeit in den Verfahren gehabt.” Vor dem Hintergrund dieser Tatsache kritisiert die OBR in Solidarität mit den Betroffenen umso mehr, dass z. B. als Grundlage für die Neubewertung des Falles Duisburg 1984 lediglich das Urteil hinzugezogen wurde. "Meine und die Erfahrungen und Beobachtungen meiner Familie haben die Ermittler nicht interessiert, tun es auch bis heute nicht", kritisiert Aynur Satır. 

Kritik am Informationsverfahren
Erst wenige Tage bzw. teilweise erst einen Tag vor der öffentlichen Präsentation der Projektergebnisse wurden die Überlebenden und Angehörigen der untersuchten Fälle durch den polizeilichen Opferschutz kontaktiert, um sie über die Ergebnispräsentation des LKA zu informieren. Diese Vorgehensweise kritisiert die OBR scharf: "Anstatt die Betroffenen angemessen zu informieren und zu unterstützen, wurde ihnen zusätzliche Unsicherheit und Belastung zugemutet." (Asal Kosari, Beraterin bei der OBR).

Eine solche Praxis ist nicht akzeptabel und entspricht nicht den Grundsätzen eines sensiblen Umgangs mit Überlebenden schwerster Gewalttaten und Angehörigen von Mordopfern. Die OBR erreichten noch am selben Tag Anrufe von verunsicherten Betroffenen, die mit der Lage überfordert waren. „Die Kommunikation der Projektergebnisse sollte in einer Weise erfolgen, die den Betroffenen Sicherheit und Klarheit gibt, anstatt diese zu retraumatisieren und sekundäre Viktimisierungen zu befördern. Wir haben wiederholt auf die Notwendigkeit einer frühzeitigen, traumasensiblen und transparenten Informationsweitergabe hingewiesen und aktiv die Einbindung der Betroffenen sowie spezialisierter Beratungsstellen eingefordert“, kritisiert Reeker.

Fehlende Einbindung und mangelnde Transparenz: LKA verfehlt seine Verantwortung
„Es ist unerlässlich, dass die Betroffenen von Anfang an in die Planung und Durchführung solcher Projekte einbezogen werden. Nur so kann eine traumasensible und transparente Kommunikation gewährleistet werden, die den Bedürfnissen und Rechten der Betroffenen gerecht wird“, erläutert Reeker. „Der Umgang mit den Betroffenen muss respektvoll und professionell sein, und die Einbindung von unabhängigen Expert*innen, die über die notwendige Erfahrung und Fachkenntnisse verfügen, sollte selbstverständlich sein.“ 

Laut Informationen vertrauensvoller Journalist*innen, die bei der Pressekonferenz anwesend waren, hat sich das LKA ausdrücklich bei der Opferberatung Rheinland (OBR) und BackUp für die Einbindung in das Projekt ToreG NRW bedankt. Diese Darstellung widerspricht jedoch den Tatsachen: Eine adäquate Involvierung der Opferberatungsstellen wurde angesichts der polizeiinternen Projektlogik von vorneherein blockiert, obwohl diese seit Beginn des Projektes mehrfach eingefordert wurde. 

Das Projektteam ToreG NRW behauptet in seinem Handout, seiner Verantwortung gerecht geworden zu sein. Doch welche Verantwortung ist hier gemeint? Die Betroffenen und ihre Angehörigen wurden weder systematisch einbezogen noch angemessen informiert. Viele Betroffene wurden nicht oder nur unzureichend kontaktiert, und die Verantwortung für die Weitergabe wichtiger Informationen wurde oft den Betroffenen selbst überlassen. Auch die Zivilgesellschaft wurde nicht in den Prozess eingebunden. Diese Vorgehensweise zeigt deutlich, dass das Projekt an der notwendigen Transparenz und Sensibilität im Umgang mit den Opfern scheitert.

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Diese Stellungnahme können Sie auch über folgenden Link herunterladen:  Stellungnahme der Opferberatung Rheinland (OBR) und Betroffenenberatung BackUp vom 04.09.2024. Projekt „ToreG NRW“: Opferberatungsstellen beklagen ungenutzte Chancen und fehlende Transparenz.

Außerdem können Sie im Folgenden die Stellungnahme des Dachverbands der Beratungsstellung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) zum Projekt “ToreG NRW” lesen und herunterladen: Stellungnahme des VBRG zum Projekt "ToreG NRW" vom 04.09.2024: Bleibende Anerkennungslücken für Todesopfer rechter Gewalt.

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Ansprechpartner für Presseanfragen:

Fabian Reeker (Opferberatung Rheinland)
Mobil: 0177 - 844 357 2
Mail: info@opferberatung-rheinland.de
www.opferberatung-rheinland.de

Thomas Billstein (BackUp Betroffenenberatung)
Mobil: 0176 – 552 565 90
Mail: contact@backup-nrw.org
www.backup-nrw.org

 

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